Laos hat einen schweren Stand bei mir. Denn Laos elektrisiert mich nicht. Nimmt mich nicht mit. Ich kupple nur, fahre aber nicht. Keine Automatik. Die Flut an Bildern aus Neuseeland macht Laos ganz klein. Die Luft ist gerade raus. Die Begeisterungsfähigkeit im Moment verflogen. Die Leichtigkeit weg. Auf all das hier kann ich mich im Augenblick nicht einlassen. Es macht keinen Spaß. Schon mein kurzer geplanter Zwischenstopp in Singapur zog sich in die Länge, weil ich mich einfach nicht entscheiden konnte.
Sicherlich tue ich damit Laos Unrecht.
Der Norden des Landes gehört zu den weniger besuchten Regionen. Die letzte größere Stadt ist Luang Prabang, UNESCO-Weltkulturerbe. Von dort führen die meisten Reiserouten Richtung Süden. Wer nach oben will, weiß um lange Busfahrten durch unendliche Hügellandschaften. Dort bin ich jetzt. Der Norden, so heißt es, verspricht Abgeschiedenheit, Ruhe und Besonnenheit. In ein paar Jahren könnte das vorbei sein.
Die Grenzen zu Thailand, China und Vietnam sind nicht weit. Geschichte liegt im Dschungel. So etwa die der in kaum einem Buch auftauchenden amerikanischen Geheimoperationen, die parallel zum Vietnamkrieg stattfanden. Über zwei Millionen Tonnen US-Bomben wurden über Laos abgeworfen, nicht zuletzt deshalb, weil der Ho-Chi-Minh-Pfad – einer der zentralen Versorgungsrouten der Nordvietnamesen von Nord- nach Südvietnam durch Teile von Laos führte. Der geheime Krieg hat Spuren hinterlassen, etwa im Dörfchen Nong Khiaw, wo man den lehmigen Pfad zum Aussichtspunkt auf einem der grün bewachsenen Karstfelsen besser nicht verlässt. Blindgänger liegen noch heute weit verstreut.
Vom geheimen Krieg hatte auch ich bisher nichts gehört. Bis ich vor wenigen Tagen irgendwo ein Schild sah und die Google-Suche auf meinem Smartphone weiterhalf. In Muang Ngoi Neua war das. Vor einem Jahr wäre das noch nicht möglich gewesen hier. Denn damals gab es noch kein Handynetz, sondern nur drei Stunden Strom am Abend. Noch immer ist das Dorf nur durch eine einstündige Bootsfahrt von Nong Khiaw auf dem Nam Ou zu erreichen. Bei der Ankunft am schlammigen Ufer ist es aber Ende 2014 nicht mehr weit, bis die ersten Schilder auf „hot showers“ und „free wifi“ hinweisen. Die Landschaft ist auch hier beeindruckend. Das Dorf eingekesselt zwischen riesigen grünen Hügeln, mal rund, oval oder kantig und immer wieder von Felsen durchsetzt. Das kann gar nicht langweilig sein, nicht öde und doch nehme ich diesen Moment nur hin, nicht aber auf. Seit meiner Ankunft in Laos vor zehn Tagen ist das so.
Als ich Edward aus Schottland auf den Stufen vor dem Steg meine Situation schildere, spricht er irgendwann von „Erste-Welt-Problemen“. Wohl wahr. Edward ist 63 und muss es ja wissen. Klar ist das urkomisch. Wer kann sich schon, umgeben von einem gigantischen Mix aus Wasser, Wäldern und Bergen, darüber beschweren, seine Situation nicht gut zu finden. Die schwierigste Frage ist die, welche Himmelsrichtung die nächste sein soll? Schwierig? Der Typ muss Probleme haben. Selbst die bitterkalten Abende dürften eigentlich gänzlich unbedeutend sein. Augestattet mit dem Privileg, mit tausenden Euros durch die Welt zu reisen. Und doch sind die Temperaturen tägliches Gesprächsthema. Verdammt, auch hier ist eben Winter. Auch wenn’s nie unter die zehn Grad geht. Wir lachen darüber, während hinter uns die letzten Sonnenstrahlen über die Hügel blinzeln. Noch Kilometer weiter flussabwärts sind die Bergketten im fahlen Abendlicht zu sehen.
Es ist also momentan einfach so. Die Geschichte zwischen mir und Laos passt nicht. Eine ziemlich lapidare Erkenntnis. Wenn’s aber doch so ist. Versuchen, sie passend zu machen? Das wäre mehr Zwang als freie Entscheidung. Denn Edward erzählt noch eine andere Geschichte und die endet damit, dass er sich vorgenommen hat, nichts zu machen, was er nicht wirklich will. Weiterhin den Norden von Laos zu bereisen, nur um nacher sagen zu können: Ich war da! Das ist arg arm. Klar kann es sein, dass Ruhe und Abgeschiedenheit in ein paar Jahren nicht mehr zu finden sind. Deshalb aber jetzt blind durchs Land zu rennen? Damit es gemacht ist? Ich will gerade keine lästigen Busfahrten mehr, keine langen Hosen tragen und keine schlechte – meine – Laune. Einreden will ich es mir zwar nicht, aber so ein bisschen erinnert mich die Gefühlslage an mein erstes Reisetief, nennen wir es einfach mal Reise-Burn-Out, damals in den ersten Wochen in Indonesien. Nur ohne Kotzerei und Horror-Busfahrt.
So schwirrt seit Tagen der Name von Chiang Mai in meinen Gedanken. Der Blick auf die Landkarte ist vielversprechend: Allzu weit ist es von Nordlaos nach Nordthailand nicht. Nur noch ein paar Busfahrten entfernt. Holprige Busfahrten. Anders geht’s dann doch nicht. Im übersichtlich-sympathischen Chiang Mai war ich schon mal im März – für fast zwei Wochen. Das sagt vieles. Und wenn das Hin und Her im Kopf langsam nervig wird, muss sich eben einfach mal entscheiden. Das hab ich dann gemacht. Also Chiang Mai. Ab zur laotisch-thailändischen Grenze. Nach Thailand einreisen. Zwischen Weihnachten und Silvester dürfte ich da sein. Mal wieder länger nichts machen. Gewohntes sehen und gucken, was das neue Jahr bringt. Hoffentlich die Lösung meiner Probleme aus der Ersten Welt. Das hat doch schon mal geklappt.
[…] Die Entscheidung, Laos zu verlassen, war gefallen. Darum ging es zwar nicht schnellstmöglich, aber auf direktem Weg aus Luang Nam Tha in Nordlaos zu einer der „Freundschaftsbrücken” zwischen den beiden Ländern. Die Städte Huay Xai (Laos) und Chiang Kong (Thailand) sind seit 2013 über eine Brücke verbunden. Zuvor konnte die Grenze nur mit einer kurzen Bootsfahrt überschritten werden. Von Chiang Kong ging es dann nochmal vier Stunden lang mit dem Minibus nach Chiang Mai. Vom am Abend sehr kalten Laos ins 24-Stunden-T-Shirt-Wetter nach Nordthailand. […]