Wer den zweithöchsten Vulkan Indonesiens besteigt, muss mit subtropischer Hitze, Nebel und Temperaturen um den Gefrierpunkt rechnen. Der Aufstieg ist nicht ungefährlich, die mehrtägige Tour abwechslungsreich, der Blick vom Gipfel versöhnlich.
Endlich. Windschutz. Regungsloses Ausharren. Kauern am kalten Stein. Die Gedanken springen. Ein Felsvorsprung, der erste geschützte Ort seit zwei Stunden. Wenige Höhenmeter tiefer pfeift die Luft in Eiseskälte über den Berggrat. Die Temperatur: Um den Gefrierpunkt. Die Sicht: Nichts als Nebel. Die Gelenke: Steif und unbeweglich. Gezeichnet vom Aufstieg über die unzähligen Tonnen an Geröll, die unter uns liegen. Handschuhe wären jetzt schön. Keuchende Gesichter starren sich an. Stumm. Erstarrt vor Kälte. Noch zwanzig Höhenmeter zum Gipfel.
46 Stunden zuvor, 3000 Meter tiefer. „I do this trek two times a week“, erzählt Sato. Er ist einer der Guides, die uns in den nächsten drei Tagen begleiten werden. Keine 1,65 Meter ist Sato groß, braun gebrannt und durchtrainiert. Die indonesische Variante von zäh – und Durchhaltevermögen ist nötig für diesen Berg. Drei Kilometer weiter oben iiegt unser Ziel – in vertikaler Luftlinie.
Der Mount Rinjani. Indonesiens zweithöchster Vulkan. Nur der Kerinci auf Sumatra überragt ihn um wenige Meter. Längst ist der Rinjani, der heilige Berg, wie ihn die Einheimischen nennen, kein Geheimtipp mehr. Tausende Touristen versuchen sich jedes Jahr. Zu vielversprechend der Blick auf den türkisblauen Kratersee, zu verlockend, mal auf 3726 Metern zu stehen. Das Unternehmen ist aber kein Sonntagsausflug. Die Briefings vor Tourstart sind eindringlich und ernst. Erst kürzlich stürzte ein Träger beim Abstieg zum Kratersee in den Tod. Die steil abfallenden Hänge aus Asche und Geröll links und rechts des Weges stellen ein weiteres Gefahrenpotenzial dar. Längst erreicht nicht jeder das Gipfelplateau.
Schwülwarme Luft schlägt uns entgegen, als wir in den dicht bewachsenen Dschungel von Nordlombok starten. Die ersten Stunden führen durch tropischen Regenwald. Viel Grün, viel Wurzeln, viel Schweiß. Obwohl die Sonne kaum durch die Baumkronen dringt, steht die Luft. Schlagartig wird es kühler, als wir die Wolkengrenze durchschreiten. Schwarze Affen springen in den Bäumen. Immer wieder knacken Äste. Die Umgebung wird neblig, fast schon mystisch. Die Trinkpausen werden trotzdem länger. Längst ist die elfköpfige Gruppe gespalten. Ich hänge am Ende. Vor zwei Tagen spazierte ich noch durch die vollklimatisierten Gebäude Singapurs. Das rächt sich.
Nach fünf Stunden Aufstieg gibt es Futter für die Augen. Wir erreichen Hobbitland. Oder die Lüneburger Heide. Über der Baumgrenze erstreckt sich eine weitgestreckte, grün bewachsene Hügellandschaft. Steil fallen die Flanken auf der einen Seite ab, träge rollen Wolkengruppen auf der anderen gen Tal. Auf sandigen Wegen schleicht sich der Pfad nach oben. Steinpassagen durchsetzen den Aufstieg. Die Hände müssen helfen. Mein Element. Das motiviert. Ich verteufle stets die öden Zubringerwege bei Ausflügen in die Berge. Nie kann es für mich schnell genug felsiger und somit interessanter werden.
Die Zeltstädte stehen am späten Nachmittag bereits. Am Kraterrand auf 2600 Metern Höhe. Wolkenumhüllt und majestätisch thront der Rinjani. Klar setzt sich der tiefblaue Kratersee zu seinen Füßen ab. Mittig in der Caldera erhebt sich ein Vulkankegel, der dünne Rauchschwaden ausspuckt. Minuten später geben die Wolken den Blick frei auf den Gipfel. Nur zu erahnen ist der kilometerlange Grad, der zu seiner Linken scheinbar gemächlich emporsteigt. Keine Stunde später ist das Panorama in Schatten gehüllt, der Zauber erloschen. Abgelöst von der dramatisch untergehenden Sonne, die nach und nach in der tief hängenden Wolkendecke über dem Meer verschwindet. Irgendwo darunter liegen die drei Gili-Inseln, wo die Nacht erst jetzt beginnt und sich die Partywütigen Mut antrinken.
Wolken beherrschen den Morgen. Der Sonnenaufgang entfällt. Aber immerhin draußen aus dem Zelt. „Unlucky tourists today“, sagt Sam, der uns Bananenpancakes bringt und auf den verhüllten Gipfel blickt. Heute gibt es keinen Sahneblick von oben. Wollschlafsack, Socken, lange Hose, Fleece-Weste – alles ist feucht. Der Rücken schmerzt. Die Nacht, ein Mix aus Wälzen, Warten und Kälte. Der Abstieg zum Kratersee bringt Wärme. 600 Höhenmeter hinunter. Felsig, teils mit Stahlseilen gesichert, dann wieder auf schmalen Pfaden nur flach abfallend. Zur Rechten stets der Vulkansee im Blick.
Entspannte Gesichter in den heißen Quellen am See. Wieder Wasser nach 30 Stunden. Muskeln lockern. Kurze Entspannung. Dann weiter zum zweiten Basislager, entlang an hüfthohen, grün-gelben Gräsern und steinig-sandigen Wegen. Nieselregen setzt ein. Wolken ziehen zügig Richtung Talebene. Der Weg gabelt nach rechts, nun immer steiler werdend. Dann kommt uns das Wasser entgegen. Es regnet aus Strömen. Mehrere Gruppen passieren uns. Sie gehen die Route in umgekehrter Richtung. Waren schon am Gipfel. Die Regenjacke klebt an der Haut. Triefende Affen begleiten mich für einige Minuten. Barfuss laufende Träger überholen mich. Der größte Teil meiner Gruppe ist hier schon längst vorbeigekommen. Aber Zeit spielt keine Rolle mehr. Stoisches Bergaufstapfen. Vor mir glitschige Felsen, immer wieder von Treppenstufen durchsetzt. Hinter mir eine Nebelwand. Serpentine um Serpentine. Totale Monotonie im Dauerregen. Das Spaßlevel sinkt.
Im Lager angekommen, hat sich die Wetterlage etwas gebessert. Es regnet nicht mehr. Die Sonne aber zu schwach, die Wolken zu dicht. Es ist schon nach vier. Erste Zweifel machen sich breit. Chefguide Sam ist sich auch nicht sicher, ob ein Aufstieg bei diesen Verhältnissen Sinn macht. „I am not god“, wiederholt er immer wieder, als er nach seiner Meinung gefragt wird. Der Grundton aber bleibt indonesisch optimistisch. Irgend-wie wird es schon gut gehen. Und noch ist Zeit bis zum frühen Morgen. Um 3 Uhr soll der Gipfelsturm beginnen.
Bestimmte Ereignisse brauchen keinen Schlaf. Schon Stunden, manchmal Tage vorher, wissen Körper und Geist, dass das Besondere nicht mehr weit ist. So geht es ohne Regen, übermüdet, aber hellwach um drei Uhr Richtung Rinjani. Die ersten Gruppen sind schon kurz nach zwei Uhr aufgebrochen und hatten beim Vorbeigehen skurrile Schatten an die Zeltwände geworfen. Die Minuten im klirrend kalten Zelt zogen sich noch länger.
Stirnlampen-Ketten ziehen sich gen Gipfel. Windstille, Sternenhimmel. 3000 Meter unter uns leuchten vereinzelt die Dörfer der Insel. Nur langsam geht es voran. Immer wieder staut sich die Menge. Überholen fällt im sandigen Boden schwer. Dann ändert sich die Topographie. Der schmale Grat beginnt, der vom Kraterrand am Tag zuvor nur zu erahnen war. Links und rechts fällt das Areal nun in die Tiefe. Der Wind frischt auf, fegt über den kargen Weg. Der härteste Teil des Aufstiegs beginnt.
Von der Aufbruchsstimmung eine Stunde zuvor ist nichts mehr geblieben. Zwei Schritte voran, einen zurück. Minutenlang. Unaufhörlich. Ich warte auf eine passende Stelle, um kurz zu rasten. Sie kommt nicht. Unsere Gruppe ist in ihre Einzelteile zerfallen. Jeder folgt von nun am seinem eigenen Lichtkegel. Wie im schlecht geskripteten Abenteuerthriller hat sich zudem die Sicht auf ein Minimum reduziert. Wolken und Nebel hängen direkt über unseren Köpfen. Die Lunge brennt, die Finger frieren. Wieder zwei Schritte nach oben gehen, einen nach unten rutschen. Handgroße Geröllhaufen planen den Weg. Der ist vielleicht zwei, drei Meter breit. Wie tief es in den Abgrund geht, spielt nur noch eine untergeordnete Rolle. Der Blick vernebelt alles.
Die Kälte nagt immer mehr. So um den Gefrierpunkt, sagt man uns später. Mal schiebe ich mich an einigen Mitstreitern voran, mal kommen mir die Gesichter bekannt vor. Es bleibt unangenehm steil. Eine Pause lässt einen unweigerlich noch mehr frieren. Und abrutschen. Das Geröll gibt keinen Halt. Ein motivierender Blick zum Gipfel wäre schön, denke ich und sehe kaum die Fersen meines Vordermanns. Im Schnitt drei Stunden bis nach oben. Hat der Guide gesagt. Bin ich Durchschnitt?
In der Hoffnung auf solides Mittelmaß kommen wirre Gedanken auf. Everest-Geschichten schießen mir in den Kopf. Extrembergsteiger, die vor Erschöpfung einfach stehen bleiben. Im ewigen Eis versinken. Oder eingeschneit werden. Nicht mehr weiter wollen. Nicht können. Kann ich nachvollziehen, höre ich mich sagen, ehe die Absurdität der Gedanken mich einholt.
Die Orientierungslosigkeit macht mürbe. Der Aufstieg die pure Monotonie. Keine Serpentinen, keine eleganten Felsformationen, nur steil bergauf. Drei Stunden müssen bald vorbei sein, rede ich mir immer wieder ein. Der Wunsch nach öden Zubringerwegen in deutschen Alpen ist stark. Das Verlangen nach tropischen Temperaturen im Dschungel groß.
Die Hoffnung kommt mit dem Fels. Mehrere Personen kauern bereits hinter dem Vorsprung. Schnell spricht sich rum, dass es nur noch wenige Minuten zum Gipfel sein sollen. Erschöpft lehne ich mich nach hinten. Kein Wind peitscht mehr von vorne. Nur das Keuchen der frisch Eingetroffenen zerschneidet die Stille. Alle starren sich fragend an. Minutenlang. Ein zarter orangefarbener Streifen am Horizont beantwortet schließlich alles. Sonnenaufgang. Mit dem Licht verschwindet auch der Nebel. Die Wolken ziehen ab. Einer unserer Guides gibt den Startschuss. Noch zwanzig Höhenmeter zum Gipfel.
Der Horizont strahlt. Erst tieforange, dann immer heller. Gelb. Fast golden. Die Eiseskälte ist kurz vergessen. Nur den Auslöser zu drücken, das fällt schwer. Immer mehr Kameras klicken. Menschen umarmen sich. Guides verteilen steinharte Schokoriegel an die Gipfelstürmer. Dunkel im Schatten wartet der tiefblaue Kratersee auf die ersten Son-nenstrahlen. 24 Stunden zuvor versperrten hier noch die Wolken diesen Blick. Heute Gipfeleuphorie. Schemenhaft sind drei schmale Farbtupfer im fernen Meer zu sehen. Die Gili-Inseln, nur wenige Meter über dem Wasserspiegel gelegen.
3726 Meter tiefer.
INFORMATIONEN UND TIPPS
- Der Preis für eine 3-Tages-Tour von Senaru aus startend liegt zwischen 1,0 bis 1,6 Millionen Rupiah (65 bis 105 Euro). Je nach Verhandlungsgeschick und Anbieter.
- Ohne Probleme lässt sich die Tour auch von den Gili-Inseln buchen. Anfahrt zum Startort inbegriffen von Lombok aus.
- Handschuhe und Regenjacke können wirklich nicht schaden. Wechselklamotten einpacken für den Fall der Fälle.
- Die Verpflegung ist in Ordnung. Zu viel Komfort ist nicht zu erwarten. Uns wurde eine Dreiergruppe versprochen, am Ende waren es aber über zehn Personen (was nicht negativ war).
- Privatguides und kleine Gruppen sind möglich, dementsprechend aber auch teurer.
Petra Schacher
petraschacher0705@gmail.com
93.222.158.195
Eingereicht am 18.09.2014 um 09:11
Hallo Benedikt!
Endlich habe ich es geschafft und Deinen fantastischen Block „momentdesaugenblicks” geöffnet!
Nun habe ich viel nachgelesen und bin mehr als begeistert - was Du so alles auf eigene Faust erlebst und mittels Berichte, Bilder und Videos andere daran teilhaben lässt: grandios - echt der Hammer - wahnsinnig und wirklich echt „abgefahren”, ha!
Freue mich jetzt schon auf weitere Neuigkeiten - da bleibt die Fernsehkiste aus - folge lieber Dir auf Deinen Spuren ins „Neuland”.
Mach weiter so - Du steckst das ZDF oder die ARD und die anderen sowieso längst in die Tasche!
Bleib gesund und mach so mutig weiter !!!!!
Viele liebe Grüße aus dem jetzt schon nebligen Nasgenstadt
Petra und Hermann und die Jungs
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