
Nationalpark mit einem Besucher
Es gibt gute Tage und schlechte Tage. Und es gibt Tage, die liegen irgendwo dazwischen. Mein dritter Tag auf dem Mae Hong Son Loop war so einer.
Ich ändere meine Route kurzfristig und fahre nun doch nicht in den Süden nach Mae Sarieng, sondern will bereits vorher Richtung Osten abbiegen und in Mae Chaem die Nacht verbringen. Die Strecke nach Mae Sarieng schien mir nach unzähligen Google-Maps-Analysen sehr weit und mein Roller dafür zu antriebsschwach, um einen gemütlichen Tag zu absolvieren. Außerdem nehme ich mir vor, am Mae-Surin-Wasserfall meine Mittagspause zu absolvieren. Garküchen, schattige Plätzchen und Einheimische, die vor den Wassermassen posieren, gibt es da zahlreich - hat mir das Internet verraten.
Gut gelaunt verbringe ich die ersten zwei Stunden auf meinem Zweirad. Ich fahre durch Dörfer, die aus nicht mehr als schrägen Holzhütten, schlafenden Hunden und rotem Sand bestehen. Zum ersten Mal auf meinem Trip winken mir Einheimische zu, als ich ihre Heimat passiere. Schmale und staubige Straßen weiten sich urplötzlich, gehen in perfekt asphaltierten Boden über und geben mir die Möglichkeit, so lange Gas zu geben, bis die Tachonadel bei 100 Stundenkilometern zu zittern beginnt.

Ich verlasse die Hauptstraße und biege in Richtung Mae-Surin-Wasserfall ab. Schnell geht es steil in die Höhe. Erstmals seit zwei Tagen verspüre ich wieder so etwas wie Abkühlung während des Fahrens. Der Dschungel lichtet sich, flache Sträucher prägen nun das Landschaftsbild. Ich sehe verlassene Marktstände, leerstehende Gästehäuser und Hütten und begegne auf den nächsten 25 Kilometern nicht einer Person.
Nachdem es auf über 1200 Metern auf dem Roller mit T-Shirt, kurzer Hose und Flip-Flops empfindlich kalt wird, freue ich mich doch tatsächlich wieder, als es abwärts Richtung Dschungel und Wärme geht. Die Gesamtsituation kommt mir mittlerweile immer komischer vor. Zwei Rollern, einem Truck und keinem Touristen bin ich bisher begegnet. Und dann stehe ich da, vor der halb heruntergelassenen Schranke mit dem Hinweis „Mae Surin Waterfall”.
Zögerlich fahre ich durch die schmale Öffnung und parke. Drei Thailänder kommen auf mich zu. Wo den der Wasserfall sei, frage ich. 500 Meter weiter, kriege ich als Antwort. Ob ich da hinfahren könne? Kein Problem, heißt es. Aber vorher müsste ich noch ein „ticket”, also ein „ticket” für „waterfall” und „National Park” bezahlen. 200 Baht.
Ich hätte jetzt anfangen können zu diskutieren. Aber was sagt man in so einer Situation? Née du, lieber Thai, von einem Eintrittspreis habe ich im Reiseführer nichts gelesen. Heute ohne, nicht? Und überhaupt: Wo sind eigentlich die ganzen anderen Leute, die so gerne hierherkommen sollen? Das machst du nicht.
Und da mein Thai dürftig und die Hoffnung auf ein Nationalpark-Paradies hinter der nächsten Biegung noch da ist, bezahle ich. Mit einem 500-Baht-Schein. Ich kriege einen kruden Stempel auf einen Zettel, aber kein Wechselgeld. Das muss erst noch geholt werden. Thai A schickt dafür Thai B mit dem Roller ins Nirgendwo. Thai B kommt nach fünf Minuten zurück, drückt mir 300 Baht in die Hand, grinst und geht zurück zu Thai A und C.
Hier war den ganzen Tag noch kein einziger zahlender Kunde, wette ich mit mir selbst.

Das Paradies kommt auch nach 500 Metern nicht. Auch keine Garküchen, schattigen Plätzchen oder posierenden Einheimischen. Dafür aber immerhin ein Wasserfall. In sicherer Entfernung und durch eine riesige Schlucht von meinem Standort getrennt. Aber immerhin, ein Wasserfall. Ein großer Wasserfall sogar. Eine Aussichtsplattform gibt es gratis dazu. Ich esse mein süßes Notfall-Hörnchen vom 7/11-Supermarkt und mache mich schließlich auf den Rückweg. 25 Kilometer. Ohne Gegenverkehr.
Tourismus, wo bist du?
Das Grün des Dschungels wird intensiver, als ich nach Osten Richtung Mae Chaem abbiege. Weit und breit ist nichts zu sehen außer Dschungel. Die Umgebung ist unwirklich. Es gibt hier keine abgebrannten Wälder und braunen Schneisen mehr. Die Weitsicht ist fast schon gut. Endlich.

Eine gute Stunde fahre ich durch eine gemalte Landschaft. Bis ich bemerke, dass seit geraumer Zeit kein Straßenschild mehr zu sehen war. Noch wenig beunruhigt glaube ich an meine Navigationskünste, schließlich gibt es hier doch nur eine große Hauptstraße. Nachdem auch nach weiteren 30 Kilometern kein Zeichen von Zivilisation zu erkennen ist, fange ich an, an meinem eigenen Verstand zu zweifeln. Habe ich nicht doch eine Abzweigung verpasst?
Es ist paradox: Träumen viele Backpacker nicht immer davon, in der Abgeschiedenheit und fern jeglicher Touristenströme zu reisen? Ich befinde mich - zumindest fühle ich das gerade so - in genau einer solchen Situation, hätte im Moment aber nichts dagegen, auch mal wieder eine Kilometerangabe, ein Dorf oder einen Autokonvoi zu sehen. Die gut ausgebaute Straße endet schließlich auch noch. Ich beginne, Kurven in Kurven zu fahren. Die Zeit der Schlaglöcher beginnt.

Die kalkulierten 120 Kilometer für den Tag sind längst vorbei. Die Balken meiner Spritanzeige werden immer weniger. Ich krieche über eine braune Schotterpiste, als der Wind stärker wird und erste Regentropfen einsetzen. Ich beschließe, keine Fotos mehr zu machen und schnellstmöglich das Weite zu suchen. Kurz darauf sehe ich aber endlich wieder zwei Straßenschilder vor mir. Leider bekomme ich die Ortsnamen mit meinem Etappenziel nicht in Einklang. Perfekter kann man ein Drehbuch nicht schreiben.
Mein ungeschicktes Hantieren mit der Landkarte ruft schließlich zwei einheimische Rollerfahrer auf den Plan, die mir den Weg weisen. Zwei Mal wiederholt sich dieses Prozedere in der nächsten Stunde. Fehlende Hilfsbereitschaft ist hier Fehlanzeige. Das befürchtete Gewitter bleibt auch aus und als ich den Namen Mae Chaem am Straßenrand lese, fahre ich doch etwas beruhigter Richtung Sonnenuntergang. Ich erreiche mein Tagesziel gegen 17:30 Uhr mit dem letzten schmalen Balken auf der Spritanzeige.
Alles doch gar kein Problem. Eigentlich.
Teil 3 folgt, darin:
Härtetest am vierten und letzten Tag: Wie sich mein Frühstück noch vor dem Mittag verabschiedet und der Rückweg nach Chiang Mai zur echten Qual wird.
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