Zwischen Blenheim und Picton. Auf der Suche nach einem Campingplatz. Einem geeigneten. Für mich geeignet wohlgemerkt. Denn da bin ich eigen. Ungerne stelle ich mich einfach mitten auf den ausgewiesenen Platz. Oder zwischen bereits geparkte Camper. Wie langweilig. Lieber rangiere ich, parke unter Bäumen oder neben einer windschützenden Hecke oder – die beste Varante – finde einen Platz, der die perfekte Aussicht hat. Weg vom Sardinenbüchsengefühl, eingepfercht und gequetscht zwischen anderen Schiebetüren. Nun ja, heute wäre die langweilige Variante besser gewesen. Von Anfang an. Denn ich stecke fest. Besser gesagt Krissy, mein Campervan. Im tiefen, sehr tiefen Kies. Beim Versuch, näher an den Strand zu fahren (schließlich will ich doch das Meer auch sehen, nicht nur hören) passierte es. Ganze zwei Meter hatte es Krissy geschafft, dann bohrte sie (oder er?) sich in den lockeren Untergrund. Der Vollständigkeit halber muss erwähnt werden, dass Schilder vor diesem Vorhaben gewarnt haben. „Tiefer und lockerer Untergrund. Befahren nicht zu empfehlen“ stand da, nicht nur einmal. Aber keine Empfehlung ist kein Verbot. Ok, auch das sei zugegeben, der Boden sah sogar für meine ignoranten Augen nicht gerade aus wie der glatt asphaltierte Formel-1-Belag in Singapur. So führte Sturheit zum Einen und grundlose Zuversicht zum Anderen.
Die erste Analyse der verfahrenen Situation ist zumindest erhellend. Eindeutig, mein Campervan hat kein Allrad-Antrieb. Das war mir als Autonull so noch nicht abschließend klar. Keine zwei Minuten vergehen, da naht auch schon der erste Paparazzi. In Form von Johan aus Kanada. Glücklicherweise will sich Johan nicht nur am Missgeschick ergötzen, sondern bringt auch gleich eine Schaufel mit. Vor drei Tagen ist er an gleicher Stelle ebenfalls eingesunken, erzählt er. Zwei Dumme also, das verbindet sofort. Unsere archäologischen Meisterleistungen führen zunächst nicht zum Erfolg. Die Ausgrabungen rund um die Hinterreifen lassen Krissy nur wenige Zentimeter zurückrollen. Wir beginnen, Äste und Holzstücke zu sammeln, um sie als stabileren Grund zu nutzen. Nutzlos. Johan will mich schließlich abschleppen. Grundsätzlich kein Vorhaben, das es zu verhindern gilt, doch Johan ist ein Mann und mein Campervan im Kies. Dennoch stimme ich zu. Das Seil entpuppt sich jedoch als Angelschnur. Krissy bleibt trotz gefühlvollstem Gaspedal-Hauchen hartnäckig. Mehr Holz muss her. Mehr und mehr Kies wird zur Seite geschafft, bis schwarze Erde zu sehen ist. Zusätzlich schiebt Johan nun an. Tja, und nach 40 Minuten Sandkasten-Action bin ich wieder raus. Habe die zwei Meter aus dem Kiesgruben-Gefängnis hinter mich gebracht. Johan grinst, ich würde ihm gerne ein oder zwei Flaschen Bier ausgeben, bin aber alkohollos unterwegs. Der Kanadier kommentiert gelassen. Immerhin habe er so etwas zu tun gehabt. Brav parke ich auf dem festen Untergrund neben dem Toilettenhäuschen. Bis Einbruch der Dunkelheit haben mich mehrere Campervans umstellt. Da ist sie also doch, die Sardinenbüchse. Wie langweilig.
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Der geneigte Leser mag sich manchmal fragen, ob er dem Autor die märchenhaften Beschreibungen über die Südinsel von Neuseeland wirklich in vollem Maße abnehmen kann? Ob das nicht etwas zu viel an Pathos und Ehrfurcht ist? Fjorde gibt es auch in Norwegen. Gletscher in der Schweiz, Meer in der Türkei, Regenwald in Indonesien. Die Liste lässt sich endlos fortführen.
Als ich in Glenorchy auf einem schmalen, moosbewachsenen Pfad durch einen Buchenwald lief, hab ich mir auch gedacht: Das findest du auch in Deutschland, in Baden-Württemberg, nicht weit weg von Ulm, direkt vor deiner Haustür. Doch es gibt ihn eben, den kleinen Unterschied. Ich muss nicht nach Norwegen, Spanien, Asien oder Südamerika fahren, um nacheinander all das zu erleben. Alles finde ich innerhalb von Stunden in Neuseeland. Und manchmal glänzt das Wasser vielleicht einen Tick blauer, als es eigentlich ist. Oder der Regenwald strahlt grüner, als er es eh schon tut. Weil man eben in Neuseeland ist und immer wieder dieser Wow-Moment kommt. Wenn sich die Landschaft schlagartig ändert und selbst das Meer nicht einfach nurmehr Meer ist. Gäbe es eine Chartliste meiner meist genutzten Worte, „Wahnsinn“, „unfassbar“, „sensationell“, würden sich Platz eins teilen. Ich sitze wirklich oft im Auto, gucke nach draußen und sage zu mir selbst: „Guck dir das an!“. Dabei gucke ich ja schon längst. Aber irgendwie muss man sich das ja begreiflich machen. Ein Nationalpark folgt in diesem Land auf den anderen. Jeder hat seine Besonderheiten, bietet neue Überraschungen, sorgt wiederum für Abwechslung. Soviel auf so kleinem Raum. Das ist das eigentliche Märchen der Südinsel von Neuseeland.
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5401 Kilometer in 43 Tagen auf der Südinsel. Als ich in den fahl beleuchteten Innenraum der Fähre von Picton nach Wellington fahre, überrascht mich der Blick auf den Kilometerzähler dann doch. Im Schnitt bin ich 125 Kilometer pro Tag gefahren. Gut und gerne zehn Liter schluckt der Toyota auf 100 Kilometer. Alle 500 Kilometer steht spätestens die Fahrt zur Tankstelle an. Kurzum: Alte Autos in Neuseeland durch die Gegend zu fahren kostet. Hab ich zu Beginn noch die Quittungen ganz deutsch, also gründlich, aufgehoben, lasse ich sie mittlerweile gleich an der Kasse zurück. Gezahlt ist ja doch gezahlt. Im Durchschnitt kostete der Liter auf der Südinsel 2,20 – 2,25 Dollar (knapp 1,40 Euro). In abgelegenen Gebieten wie etwa am Franz-Josef-Gletscher bis zu 2,50 $ (1,55 Euro). So werde ich am Ende der zehn Wochen mehr Geld für Sprit als für die Campervan-Miete ausgegeben haben. Etwas Erleichterung für den Geldbeutel aber naht. Auf der Nordinsel liegen die Spripreise meist deutlich unter zwei Dollar (1,20 Euro).
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